
Professor Dr. Radeloff spricht u.a. über Cochlea-Implantate sowie die Bedeutung einer frühzeitigen Versorgung bei Hörverlust und die Rolle der niedergelassenen HNO-Ärzte im Versorgungsprozess.
Cochlea-Implantate – Hörverlust aktiv angehen!
Herr Professor Dr. Radeloff, Sie sind einer der führenden Otologen in Norddeutschland. Wie kam es, dass Sie sich auf dieses Gebiet spezialisierten?
Bereits im Studium in Frankfurt habe ich mich wissenschaftlich mit Cochlea-Implantaten befasst, insbesondere mit der Frage, wie man bei der Implantation noch vorhandenes Restgehör erhalten kann. Das war damals neu, ist aber mittlerweile Standard. Seitdem hat mich das Thema nicht losgelassen. Nach einer mehrjährigen Station in Würzburg kam ich nach Oldenburg, um den Bereich der Otologie am Evangelischen Krankenhaus und später auch für die Universitätsmedizin auf- und auszubauen.
Sie forschen auch zu Cochlea-Implantaten. Können Sie uns mehr darüber erzählen?
Ein Schwerpunkt unserer Forschung ist, wie wir die Versorgung mit Cochlea-Implantaten sowie anderen Hörimplantaten verbessern können. Wir arbeiten beispielsweise an objektiven Messverfahren, um intraoperativ zu evaluieren, wie gut ein Implantat an das Ohr angepasst ist. Die Patienten liegen während der Operation in Narkose und können nicht selbst Rückmeldung geben. Wir leiten daher EEG-Signale vom Gehirn ab, um zu überprüfen, wie viel Information tatsächlich im Gehirn ankommt.
Ein weiterer Aspekt unserer Forschung ist das Richtungshören. Wir arbeiten daran, Laufzeitunterschiede zwischen beiden Ohren besser zu nutzen, die durch Hörgeräte oder Implantate oft verzerrt werden. Wenn das gelingt, könnte das Richtungshören und somit das Sprachverstehen in lauten Umgebungen deutlich verbessert werden.
Zusammen mit Kollegen der Universität Bremen arbeiten wir darüber hinaus an Projekten in einem Graduiertenkolleg. Hier versuchen wir herauszufinden, auf wen sich ein Patient konzentriert, wenn mehrere Personen sprechen. Menschen mit Hörschädigungen haben oft Schwierigkeiten, in lauten Umgebungen die Stimme herauszufiltern, der sie folgen möchten. Ziel ist es, Hörsysteme so zu verbessern, dass sie automatisch erkennen, worauf sich der Nutzer konzentriert, und entsprechend reagieren.
Das klingt nach Zukunftstechnologie.
Ja, das ist es. In dem Bereich sind in den letzten Jahren aber große Fortschritte erreicht worden. Ziel ist es, Hörgeräte und Implantate so zu entwickeln, dass sie durch die Analyse von EEG-Signalen und anderen biologischen Signalen selbstständig die besten Einstellungen für den jeweiligen Nutzer vornehmen können. Beispielsweise kann man aus den Signalen ablesen, auf welche Stimme sich jemand konzentriert. Das hat früher Minuten gedauert. Inzwischen funktioniert das in wenigen Sekunden. Solche Fortschritte könnten in einigen Jahren in marktreife Produkte integriert sein.
Und davon profitieren auch Ihre Patienten im EVK?
Das Evangelische Krankenhaus hat sich stark auf Lösungen bei Hörverlust spezialisiert. Das beginnt bei Hörgeräten, die oft von niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen verschrieben werden. Die Patienten kommen zu uns, wenn die Hörgeräte nicht mehr ausreichen. Wir sind ein großes Zentrum für Hörimplantate und versorgen jährlich etwa 100 Patienten, Erwachsene und Kinder. Unser Implantat-Programm umfasst sowohl Cochlea-Implantate als auch Mittelohrimplantate, wie beispielsweise die Soundbridge, und Knochenleitungsimplantate. Diese Lösungen können sehr wertvolle Alternativen zu Hörgeräten sein. Wir verwenden dabei Lösungen von unterschiedlichen Herstellern, darunter auch MED-EL.
Können Sie uns einen oder zwei Fälle vorstellen, bei denen Sie Patienten mit Cochlea-Implantaten helfen konnten?
Sehr beeindruckend ist immer, wenn wir Neugeborene behandeln, die durch das Hörscreening sehr früh als hörgeschädigt erkannt werden. Etwa 1 von 1.000 Kindern ist betroffen. Diese Kinder implantieren wir in der Regel um den 12. Lebensmonat, wenn eindeutig feststeht, dass sie mit einem Hörgerät nicht auskommen. Das Besondere bei sehr jungen Kindern ist, dass wir oft beide Ohren gleichzeitig implantieren.
Es ist unglaublich, zu sehen, wie schnell diese Kinder nach der Implantation das Sprechen lernen und oft eine fast normale Sprachentwicklung durchlaufen. Viele von ihnen führen später ein vollkommen normales Leben, studieren und lernen sogar Fremdsprachen. Das ist etwas, das in meiner Generation undenkbar war; damals waren gehörlose Kinder oft stark eingeschränkt. Es zeigt, wie weit die Medizin und Technik heute fortgeschritten sind.
Ein konkreter Fall, der mich beeindruckt hat, betraf einen Erwachsenen, der durch eine Meningitis von einem Tag auf den anderen sein Hörvermögen komplett verlor. Man muss dann möglichst zeitnah implantieren, da die Cochlea durch die Entzündung verknöchern kann. Es ist ein großer Schritt für jemanden, der von einem Moment auf den anderen taub geworden ist, wieder hören zu können. In solchen Momenten werden einem die unglaublichen Möglichkeiten von Cochlea-Implantaten richtig bewusst.
Gibt es etwas, das Sie sich von niedergelassenen Kollegen wünschen, z. B. eine schnellere oder frühere Überweisung?
Insbesondere niedergelassene HNO-Ärzte sollten die Möglichkeiten von Implantaten im Blick behalten. Manche haben vielleicht noch nicht genügend Erfahrung mit den aktuellen Entwicklungen und sehen eher die negativen Beispiele, bei denen Patienten zu spät implantiert wurden und nicht optimal von den Implantaten profitieren können. Die besten Ergebnisse erzielen Patienten, die früh implantiert werden, und es ist wichtig, dass diese Option rechtzeitig in Betracht gezogen wird. 60 % Sprachverständnis bei 65 Dezibel – das sind die beiden wichtigen Kennzahlen, die man als HNO-Arzt wissen muss. Sind sie erreicht oder unterschritten, sollte man Patientinnen und Patienten an ein spezialisiertes Zentrum überweisen.
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